Über die Strasse gehen

Bern, 23.06.2006 - Bundespräsident Moritz Leuenberger am 23. Juni 2006 bei der Eröffnung des Medienzentrums Bundeshaus in Bern

Es sei zu heiss und zu eng in diesem Haus. Das konnte ich schon in Zeitungen lesen. Im Radio habe ich nichts davon gehört, auch nichts im TV gesehen. Daraus schliesse ich, dass es doch einen Unterschied zwischen Print- und anderen Medien geben muss. Mindestens im Zusammenhang mit diesem Haus.

Ich kann bestätigen, dass es wirklich heiss ist hier.

Ich geriet bei meinem ersten Interview im neuen Medienhaus auch in die Hitze des Gefechtraumes und versuchte, live eine Fliege zu erschlagen. Ausgerechnet in der Sternstunde wurde ich zum Mörder - glaubte ich.

Doch die Fliege floh auf die Stirn von Roger de Weck und er rief glücklich aus: „Sie lebt, sie lebt.“

Das Drama wird nächsten Sonntagmorgen gezeigt.

Diejenigen, die unter Hitze im Arbeitszimmer leiden, kann ich trösten:

Im BH Nord, in welchem ich arbeite, ist es auch nicht anders. Wir haben auch keine Klimaanlage und die tägliche Arbeitshitze stählt uns im Kampf um eine CO2 Abgabe und gegen das Ozonloch.

Und damit Sie es gleich schon wissen: Im Winter wird es sehr kalt sein, vor allem am Montagmorgen.

Im übrigen brechen ja bald die Ferien aus. Ich empfehle Ihnen als Lektüre „Die Taube“ von Patrick Süskind. Ich zitiere Ihnen gerne den Buchkommentar dazu:

„In „Die Taube“ stellt Patrick Süskind einen seltsamen Kauz vor, der jede Veränderung als Bedrohung empfindet, am liebsten anonym und unbeachtet bleibt und Zuflucht in seinem kleinen Zimmer sucht. Schon der Anblick einer Taube auf dem Korridor bringt ihn völlig aus dem Gleichgewicht.“

Es sei ein Elend mit den Parkplätzen im Hof, vor allem für die Equipen, die mit Kamera und Stativen notfallmässig ausrücken müssten, habe ich auch gehört.

Trösten Sie sich: Auch ich kann nicht immer losfahren, dann nämlich nicht, wenn die Nationalbank gerade Gold transportiert - und das ist immer öfter der Fall. Da stehen bewaffnete Sicherheitsmänner herum und der Ausgang kann für mehr als eine halbe Stunde gesperrt sein. Das wird aus Sicherheitsgründen auch nicht angekündigt - wenigstens mir nicht. So komme ich manchmal zu spät und werde vom Leben gestraft. Bei Ihnen ist das anders: Sie bestraft niemand, denn was von ihnen nicht der Öffentlichkeit bekannt gegeben wird, hat gar nie statt gefunden.

* * *

Aber ich habe auch schon viel grundsätzlichere Kritik am Medienhaus gehört:

Die Journalisten würden so von der politischen Quelle ferngehalten. Mit der räumlichen Distanz zwischen Medienhaus und Bundeshaus werde auch die Distanz zwischen Politikern und Journalisten grösser werden. Das sei geradezu ein Symbol für die wachsende Entfremdung zwischen der Politik und den Medien.

Ich kann dieser Interpretation nicht beipflichten.

Was die Quellen angeht: Sie werden kaum versiegen. Dass die Wände Ohren haben, ist in Ihrem Hause malerisch verewigt. Im Bundeshaus drüben ist das so selbstverständlich, dass man es nicht noch hinmalen muss.

Und was die Entfremdung zwischen Medien und Politik angeht, so kann sie nicht daran liegen, dass das Bundeshaus und das Medienhaus durch eine Strasse getrennt sind.

Auch ich muss, um ins Bundeshaus zu gelangen, über die Strasse.

Umgekehrt darf ich aber auch über die Strasse, um dem Bundeshaus zu entfliehen. Oft bin ich versucht, den direktesten Weg zu nehmen, was ich aber nicht darf, weil innert 50 Meter ein Fussgängerstreifen angebracht ist, weshalb ich als gesetzestreuer Verkehrsminister meist diesen kurzen Umweg nehme. Und das hat sich fast immer gelohnt.

Schon oft haben mich Touristen gefragt, wo das Bundeshaus sei. Einmal habe ich einigen von ihnen Kaspar Villiger als Bundespräsidenten und François Couchepin als Bundeskanzler vorgestellt - was zu Lachsalven geführt hat. „Wir wussten gar nicht, dass ihr Schweizer so viel Humor habt.“

Der Gang über die Strasse lohnt sich aber auch sonst. Er erlaubt eine kurze Durchlüftung des Kopfes. Je nach Wetterlage im Bundeshaus ist es eine Abkühlung oder Erwärmung. Je nachdem, wie der Wind gerade weht, wird der Widerstand gestärkt oder die Gangart beschleunigt.

Und wer gar noch ein paar Schritte auf den Markt auf dem Bundesplatz wagt, realisiert, dass dieses grandiose Forum, welches das Bundeshaus ja auch ist, oft von der Realität auf der Strasse und den Meinungen auf dem wahren Markt der Leute abgeschirmt und entfernt ist, dass sich dort, unter den Journalisten und den Politikern und auch im Austausch zwischen den beiden, ein Biotop unter einer grossen Käseglocke entwickelt hat.

In Zukunft werden beide, Politiker wie Journalisten, wenn sie miteinander zu tun haben, vermehrt über die Strasse gehen müssen. Journalisten, um ins Bundeshaus zu kommen, Politiker, um sich im Medienhaus interviewen zu lassen. Der Gang über die Strasse wird uns in Erinnerung rufen, dass wir beide verschiedene Rollen übernommen haben. Und dass wir, Politiker und Journalisten, uns immer wieder überlegen müssen, ob wir zu viel Distanz pflegen oder zu wenig - äusserlich und innerlich.

Es gibt eine Geschichte von Arthur Schoppenhauer, die unser Verhältnis anschaulich schildert:

„Eine Gruppe von Stachelschweinen drängte sich an einem kalten Wintertag recht nahe zusammen, um sich durch gegenseitige Wärme vor dem Erfrieren zu schützen. Doch die Stacheln piekten, und so entfernten sie sich wieder voneinander. Nun hatten sie wieder kalt und rückten zusammen. Bis sie das zweite Übel wieder spürten. So wurden sie zwischen den beiden Leiden hin- und hergeworfen, bis sie eine nicht allzu grosse Entfernung voneinander herausgefunden hatten, in der sie es am besten aushalten konnten. Sie spürten die Wärme des anderen noch und konnten seine Stacheln aushalten.
So treibt auch die Menschen das aus der inneren Leere entsprungene Bedürfnis nach Gesellschaft zueinander, aber ihre widerwärtigen Eigenschaften und unerträglichen Fehler stossen sie wieder voneinander ab. Die mittlere Distanz, bei welcher sie das Zusammensein am besten aushalten, ist die Höflichkeit. In England, dem Heimatland der Höflichkeit, ruft man demjenigen, der diese Distanz unterschreitet, zu: „Keep your distance!“ - Wahre deinen Abstand.“

Wir, die Politiker und Journalisten, sollten es so halten wie die Stachelschweine. Auch wir sind auf Wärme in Form gegenseitigen Vertrauens angewiesen, aber auch auf eine gewisse Distanz, weil wir uns sonst nicht mehr kritisch mit dem Anderen auseinandersetzen können.

Als Politiker muss ich mich darauf verlassen können, dass Sie meine Versprecher auf Französisch und Italienisch korrigieren, sonst kann ich nicht mehr unbefangen vor Ihren Augen und Kameras üben und damit wird auch der Medienbeitrag weniger interessant.

Als Bundesrat zähle ich darauf, dass Sie keine Geschichten von Schlachten und Niederlagen konstruieren, nur weil unser Gremium ein angekündigtes Geschäft verschoben und noch nicht entschieden hat, weil noch etwas geklärt werden muss. Sonst geht das Vertrauen verloren und beide leiden darunter. Sie haben mir Ihre Sorgen ja letzten Freitag noch offiziell vorgetragen. Und ich habe Ihnen gesagt, eine gute und seriöse Vorbereitung für Geschäfte aus dem Bundeshaus liege auch in unserem Interesse.

Sie als Journalisten müssen sich darauf verlassen können, dass wir Sie wahrheitsgemäss informieren und Sie nicht für Propagandakampagnen oder strategische Spiele missbrauchen, obwohl Sie das ganz offensichtlich werden, vor allem bezüglich so genannter Indiskretionen aus dem Bundesrat. Oft sind das nämlich gar keine Indiskretionen, sondern Unwahrheiten.

Wenn wir uns aber zu nahe kommen, verstricken sich unsere Stacheln ineinander und werden wirkungslos. Deswegen ist es gut, dass wir beide immer wieder über die Strasse müssen, um Abstand voneinander zu gewinnen und die Stacheln zu pflegen - sei es in Form der spitzen Feder oder des spitzen Wortes.

Die nötige Distanz ist nicht gewahrt, wenn Parlamentarier in den Wandelhallen eine Petition eines Mediums unterzeichnen, die letztlich an sie selber adressiert ist. Dabei müssen wir darauf achten, dass die Distanz nicht zu gross wird Wir müssen also beide immer wieder über die Strasse zu denjenigen, die auf der anderen Strassenseite arbeiten.

Die beiden Häuser dürfen nicht zu Hinterhalten werden, aus denen unerkannt giftige Pfeile abgefeuert werden. Wer den anderen sticht, soll den Mut haben, dem Gestochenen in die Augen zu blicken. So zwingt eine gewisse Nähe auch zur Rechtfertigung eines erfolgten Stiches.

Auch deswegen empfiehlt es sich, über die Strasse zu gehen.

Aber bitte benutzen Sie den Fussgängerstreifen und machen Sie doch noch einen Abstecher auf den Markt. Vielleicht findet die Begegnung mit dem anderen Stachelschwein ja dort statt. Die richtige Distanz und die richtige Nähe, das Augenmass von Vertrauen und Kritik, stellen sich dort am besten ein.


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