«Wir sind mehr als nur Nachbarn und haben die Verantwortung, unsere Partnerschaft weiterzuentwickeln»

Bern, 20.05.2014 - Bern, 20.05.2014 - Ansprache von Bundespräsident Didier Burkhalter anlässlich des Staatsbesuchs des Präsidenten der Italienischen Republik Giorgio Napolitano - Es gilt das gesprochene Wort

Herr Staatspräsident
Frau Napolitano
Frau Aussenministerin
Meine Damen und Herren

Im Namen des Bundesrates und des Schweizervolks entbiete ich Ihnen, Herr Staatspräsident, Ihrer Frau Gemahlin und den Mitgliedern Ihrer Delegation ein herzliches Willkommen in der Schweiz. Es ist uns eine grosse Freude, den Präsidenten der Italienischen Republik zu einem Staatsbesuch zu empfangen.

Ihr Besuch ist ein Ereignis, ein sehr bedeutungsvoller Moment in den Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern. Ihr Besuch zeigt uns auf, welche starken Bande unsere beiden Länder und Völker verbinden.

Ich begrüsse Sie, Herr Staatspräsident, als den höchsten Repräsentanten Italiens, eines Nachbarlandes und eines mit uns befreundeten Staates, mit dem uns so vieles verbindet. An erster Stelle die italienische Sprache und Kultur. Das ist ein wertvolles Gut, das unsere beiden Länder teilen. Die italienische Sprache und Kultur sind ein unverbrüchliches Merkmal der ganzen Schweiz, zusammen mit den drei anderen Landessprachen. Ein Merkmal, durch das unser Land teilnimmt an einer der grossen Kulturen Europas.

Herr Staatspräsident und lieber Freund

Danke, dass Sie diese Reise unternommen haben! Sie machen damit einen Schritt auf die Schweiz zu, ihre Nachbarin, und Sie heben damit die Geschichte unserer beiden Länder hervor, oder vielmehr: die unzähligen Geschichten der Menschen in unseren beiden Ländern.

Die Schweiz war lange ein Auswanderungsland. Vertrieben von der Armut im eigenen Land, begaben sich die jungen Schweizer nach Italien, um sich von den Armeen der Fürstenhäuser auf der Halbinsel als Soldaten rekrutieren zu lassen.

Andere Schweizer dagegen, wie etwa der Tessiner Architekt Francesco Borromini, trugen mit ihrem Talent bei zur Blüte der italienischen Städte, allen voran derjenigen von Rom.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Schweiz auch ein Land für Migranten und für Flüchtlinge:

Italienische Arbeiterinnen und Arbeiter folgten in grosser Zahl dem Ruf einer wachsenden Schweizer Wirtschaft, kamen über die Grenze und brachten uns ihre Arbeitskraft. Es folgten viele Jahrzehnte eines gemeinsamen Lebens, sich kreuzender Lebenswege und Schicksale.

Wenn ich zurückdenke an meine Kindheit in meinem Dorf am Ufer des Neuenburgersees, kommen mir oft meine italienischen Freunde in den Sinn, in der Schule natürlich, vor allem aber während den unendlich langen Fussballspielen, die wir am Fusse der Neuenburger Reben ausgetragen haben...

Heute, im Rahmen der europäischen Mobilität, kommen viele junge Italienerinnen und Italiener in die Schweiz, um hier ihre Ausbildung fortzusetzen, beispielsweise um in schweizerischen oder internationalen Forschungsprojekten mitzuwirken.
 
Millionen von individuellen Biografien zeigen, wie Italienerinnen und Italiener in der Schweiz eine neue Heimat gefunden haben. Sie haben sich in unserem Land integriert und die Kultur der Schweiz geprägt und bereichert.

Ich möchte Ihnen, Herr Staatspräsident, von ganzem Herzen die Dankbarkeit des Schweizervolks ausdrücken für dieses Miteinander und für diesen überaus wertvollen Beitrag Ihrer Landsleute, damals und heute, zum Wohlstand und zum kulturellen Reichtum der Schweiz.

Heute verbinden unsere beiden Länder starke gemeinsame Interessen. Wir sind strategische Partner geworden, und so tragen wir auch die Verantwortung dafür, dass wir unsere Beziehungen weiter verbessern.
Der Austausch zwischen unseren Ländern zeigt sich ganz besonders in den Grenzregionen. Die italienischen Grenzgängerinnen und Grenzgänger folgen dem Ruf einer dynamischen Wirtschaft, vor allem im Kanton Tessin, und tragen so bei zum Gedeihen der gesamten Region. Der Bundesrat ist sich bewusst, dass diese Situation auch mit Herausforderungen verbunden ist. Eine enge Zusammenarbeit in der Grenzregion tut deshalb not. Konstruktive Vorschläge liegen auf dem Tisch; sie können für beide Seiten gute Lösungen bringen.

Die Weltausstellung 2015 in Mailand bietet eine einmalige Gelegenheit, die Kontakte zwischen unseren Ländern zu verstärken und die Bande noch enger zu knüpfen, auf allen Ebenen und ganz besonders in der Grenzregion. Es war deshalb wohl kaum ein Zufall, dass die Schweiz das erste Land war, das seine Teilnahme an der Weltausstellung zusagte. Das Parlament hat den Kredit für den Schweizer Pavillon an der Weltausstellung oppositionslos genehmigt. Und ich bin sicher, dass nächstes Jahr in Mailand sehr viele Schweizerinnen und Schweizer anzutreffen sein werden!

Unsere Wirtschaftsbeziehungen sind eng, und beide Länder profitieren von der Vitalität dieser Verhältnisse. Italien ist unser drittgrösster Handelspartner. Die Schweiz ihrerseits ist das viertwichtigste Exportland Italiens.

Die Handelsbeziehungen allein zwischen der Schweiz und den Regionen Norditaliens übertreffen diejenigen zwischen der Schweiz und China! Eine sehr grosse Zahl schweizerischer und italienischer Unternehmen ist im jeweils andern Land präsent. Diese Unternehmen fördern den Wohlstand und schaffen Arbeitsplätze. Wir wollen diese Wirtschaftsbeziehungen erhalten und weiter ausbauen, indem wir für die Wirtschaft gute Rahmenbedingungen schaffen.
 
So stehen zurzeit die Diskussionen über Steuer- und Finanzfragen im Zentrum unserer gemeinsamen Bemühungen. Nach meinem Geschmack ist dies allerdings seit zu langer Zeit so! Wir müssen hier rasch konstruktive und für beide Seiten befriedigende Lösungen finden. Die Beziehungen zwischen Italien und der Schweiz, Herr Staatspräsident, sind ganz einfach zu vital, zu dynamisch und zu reichhaltig, als dass sie von irgendwelchen schwarzen Listen getrübt werden sollten!

Die Schweiz und Italien sind auch strategische Partner im Energiebereich. Die Schweiz ist ein Transitland par excellence für den Transport von Energie in Europa, insbesondere in Richtung Italien. Unsere beiden Länder arbeiten eng zusammen mit dem Ziel, ihre Versorgung mit Erdgas zu diversifizieren, über das Projekt einer transadriatischen Pipeline (TAP) ausgehend von Aserbaidschan.

Unsere beiden Länder sind auch gemeinsam verbunden über Eisenbahnprojekte von historischer Bedeutung, die ganz Europa betreffen. Das System der Eisenbahn-Alpentransversalen wird die Distanzen zwischen Süd- und Nordeuropa markant verkürzen und dazu beitragen, den Güterverkehr von der Strasse auf die Schiene zu verlagern. Wenn diese Infrastruktur einmal realisiert sein wird, wird eine direkte Achse das Mittelmeer mit der Nordsee verbinden. Das ist von nicht zu überschätzender Bedeutung, für Italien, für die Schweiz, für Europa.

Herr Staatspräsident

Die Beziehungen zwischen der Schweiz und ihren Partnern in der Europäischen Union sind ausserordentlich eng und intensiv. Der Bundesrat setzt sich dafür ein, ausgewogene Lösungen zu finden, die es erlauben, diese Beziehungen zu erhalten und zu verstärken, Beziehungen notabene, die beiden Seiten Vorteile bringen.

Die Schweiz ist Teil Europas. Ja, sie beansprucht gar, das Herz Europas zu sein! Und wenn die Schweiz sich auch dafür entschieden hat, ihren eigenen Weg in diesem Europa zu gehen, den bilateralen Weg, so teilt sie doch die Werte, auf denen die Europäische Union aufgebaut ist, voll und ganz: Frieden, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Anerkennung und Schutz der Minderheiten, Menschenwürde. Dies alles sind auch Werte der Schweiz.

Diese Werte müssen wir verteidigen. Die Krise in der Ukraine stellt diese Werte auf die Probe; sie ist eine grosse Herausforderung für die Sicherheit und Stabilität auf unserem Kontinent. Wir alle sind aufgerufen, zur Beruhigung der Lage beizutragen, den Dialog zu fördern und Vertrauen zu schaffen. Deshalb hat die Schweizer OSZE-Präsidentschaft eine Roadmap vorgeschlagen, bei der es darum geht, die Logik der Eskalation zu ersetzen durch eine Logik der Zusammenarbeit. Diese von allen Akteuren getragene Roadmap wird gegenwärtig Schritt für Schritt umgesetzt. Eine Verstärkung der Präsenz der Beobachtermission der OSZE soll ebenfalls dazu beitragen, die Lage zu entspannen. Ich bin sehr froh über die sehr konstruktive Zusammenarbeit zwischen der Schweizer OSZE-Präsidentschaft und der italienischen Aussenministerin Federica Mogherini. Wir arbeiten auch eng zusammen mit dem Sekretariat der OSZE, das von Ihrem Landsmann Lamberto Zannier geleitet wird, der in der vergangenen Woche in seinem Amt bestätigt wurde. Einen wichtigen Beitrag leistet Italien auch mit der Wahlbeobachtermission, die von einer Italienerin geleitet wird.

Sie sehen aus alledem, dass unsere gute und enge Zusammenarbeit sich nicht bloss auf Nachbarschafts-beziehungen beschränkt, sondern sich auch auf multilateraler Ebene entfaltet.
So bin ich überzeugt, dass sich auch Gelegenheiten ergeben werden, mit der italienischen EU-Präsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2014 zusammenzuarbeiten.

Herr Staatspräsident

Ihr Besuch setzt ein starkes Zeichen. Und mehr noch.

Nehmen wir Ihren Besuch also zum Anlass, unsere Beziehungen nicht nur zu feiern, sondern unseren Willen zu bekräftigen, noch mehr aus unseren Beziehungen zu machen. Mit ihren intensiven zwischenmenschlichen Kontakten, ihrem sozialen und kulturellen Austausch und den engen wirtschaftlichen Beziehungen sind die Schweiz und Italien nicht nur Grenznachbarn, sie sind sich nah.

Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in der Schweiz!


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Letzte Änderung 30.01.2024

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