„2° Das Wetter, der Mensch und das Klima“

Bern, 20.08.2010 - Basel, 20. August 2010, Rede von Bundesrat Moritz Leuenberger

Wetter und Politik 

Die ganz, ganz Alten unter Ihnen erinnern sich vielleicht noch an einen Aufruf aus dem letzten Jahrhundert: „Alle reden vom Wetter – wir nicht!“

Der Slogan rief 1968 zur Politik auf und verhöhnte unverbindliches Geschwätz und dafür stand ein Gespräch über das Wetter.  

Heute, fünfzig Jahre später, ist ein Gespräch über das Wetter sehr wohl politisch. Ganz im Gegenteil: Als unverbindlicher Schwätzer gilt, wer nichts von der Klimaerwärmung wissen will. Die Gemüter erhitzen sich dabei mindestens so sehr wie das Klima, denken wir nur an Ausdrücke wie „Klimalüge“ oder den ungeheuerlichen  Vergleich mit dem Holocaust, wie er vom sudanesischen UNO-Botschafter in Kopenhagen angestellt wurde, um das Verhalten der Industrieländer anzuprangern.  

Ja,  Wetter ist Politik, seit wir nicht mehr verdrängen können, dass wir  an der Erderwärmung mitverantwortlich sind und seit klar ist, dass unsere Lebensgrundlagen bedroht sind.  

Gewiss, es wird immer noch viel geschwatzt über das Wetter. Insbesondere in jenen langatmigen, schrecklich  gekünstelten Interviews mit Radio-Wetterfröschen. (Darin  unterscheiden sich die SRG und die Lokalsender nicht im Geringsten.) 

Auch gewisse Standardfloskeln in der Klimadiskussion arten in Geschwätzigkeit aus. Sprüche wie „Es ist nichts bewiesen“ oder „Das Klima hat sich schon immer verändert“ und „Die Schweiz ist ja so klein, was kann sie schon tun?“ sind Formeln aus den Küche von PR Profis, die sich zwar bei vielen einschleichen, aber deswegen nicht wahrer werden. Auf der anderen Seite gebe ich zu, ich habe mit der Beschwörung „Wir tun es für unsere Kinder“ nachgerade etwas Mühe, einfach weil sie so gebetsmühlengleich aufgesagt wird und langweilig geworden ist. 

Fortschritt und Vernunft 

Dennoch ist die Menschheit einen weiten Weg gegangen.  

Es gab Zeiten, als mit Zauberformeln und Opfergaben versucht wurde, die Götter milde zu stimmen, wenn sie das Wetter gestalten. 

Erkenntnis und Vernunft haben dazu geführt, dass wir uns heute den Mächten der Atmosphäre nicht mehr einfach ausgeliefert fühlen.  

Wir wissen heute, dass nicht zornige Wettergötter für Blitz und Donner, für Flut und Dürren verantwortlich sind. (Wären sie es, hätten sie längst vorzeitig zurücktreten müssen.) 

  • Heute liefert uns ein feinmaschiges Netz von Wetterstationen vom Nordpol bis in die Sahara Daten und Prognosen, wenn wir unsere Reisen und Routen planen.
  • Von Stürmen, Fluten oder Tsunamis werden wir heute nicht mehr einfach überrascht. Dank wissenschaftlichen Erkenntnissen und moderner Kommunikationsmittel können wir heute manche Schäden verhindern und viele Leben retten:
  • Das BAFU sammelt Daten über Niederschläge und Wasserstände. Mit Hilfe von mathematischen Modellen können drohende Hochwasser rechtzeitig erkannt werden.
  • SF Meteo erarbeitet Wetter-Alarm-Meldungen, welche per SMS an Hauseigentümer, Verkehrsteilnehmer oder Alpinisten, verschickt werden können. (Diese Verbreitung von Wetterwarnungen per SMS wurde in Kenia erfunden und heute in ganz Afrika praktiziert.)
  • Der Bundesrat hat diese Woche die Totalrevision der Alarmierungsverordnung verabschiedet. Alle elektronischen Medien müssen bei Hochwasserereignissen und anderen Unwettersituationen sofort und umfassend die Warnungen des Bundes verbreiten.
  • Dank der Auswertung von Satellitenbildern und Eisbohrkernen (zum Beispiel Professor Thomas Stocker) können Veränderungen der Atmosphäre über längere Zeiträume festgestellt werden. Sie sind ein wichtiger Beitrag zur Beobachtung und Dokumentation des Klimawandels.
  • Vergessen wir auch Schutzbauten oder Renaturierungen nicht. 
  • Zur Wissenschaft gehören nicht nur naturwissenschaftliche Disziplinen, sondern auch die Logik und die Philosophie. Auch wer Widersprüche der Klimaforscher feststellt, kann sich nicht einfach zum Nichtstun legitimiert fühlen.
  • (Zum Vergleich: Wette von Blaise Pascal über die Frage, ob Gott existiert oder nicht. Er argumentierte: Was vergebe ich mir, wenn Gott nicht existiert und ich mich trotzdem an seine Gebote halte? Nichts. Was geschieht mir aber nach meinem Tod, wenn ich mich nicht an seine Gebote halte und er existiert trotzdem!)

Für die Klimafrage heisst das:  

Auch wenn immer wissenschaftliche Zweifel gesät werden können, ob es einen Klimawandel gibt und ob er menschengemacht sei: 

  • Was vergeben wir uns, wenn wir ihn bremsen? Wir fahren eindeutig besser, wenn wir nur schon von unserer Abhängigkeit vom Öl wegkommen.
  • Wenn wir aber nichts tun, und die überwiegende Mehrheit der Forscher und Politiker hat recht, dann wird dies verheerende Folgen haben.  

Katastrophen der Menschen gegen die Natur 

Die Folgen menschlichen Eingreifens in die Natur erleben wir zurzeit im Golf von Mexiko und bei den Torfbränden in Russland. Beides sind grosse Katastrophen. Der Golfstrom und seine Tier- und Pflanzenwelt werden sich viele Jahre nicht mehr erholen. 

Fatalistisch sprechen wir dabei von „tragischen Naturkatastrophen“.  

Seien wir präzise und gerecht: Die Katastrophe im Golf von Mexiko und die Torfbrände in Russland sind weder tragisch, nämlich nicht schicksalhaft, noch sie sind sie Katastrophen der Natur. Sie sind vielmehr Katastrophen von Menschen gegen die Natur, nämlich das Resultat von Verantwortungslosigkeiten von Firmen, von Behörden, von Menschen. 

Und auch wenn es um Katastrophen der Natur geht, um Erdbeben, um Tsunami oder Lawinen, wären wir durchaus in der Lage so vorzusorgen, dass die Schäden so gering wie möglich gehalten werden könnten.  

Das Erdbeben von Lissabon im 18. Jh. war eine der ganz grossen Weltkatastrophen.

Damals gab es eine Polemik zwischen Voltaire und Rousseau.

  • Voltaire meinte, „die Natur“ müsse doch verantwortlich sein, weil Gott doch nicht den Tod so vieler Menschen zulassen würde.
  • Rousseau hingegen sah die Schuld bei den Menschen:
  • Es sei ein Versagen der menschlichen Vernunft, Häuser in solch erdbebengefährdeten Gebieten zu bauen. Die Menschen drängt es noch heute, ihre Häuser ausgerechnet im Lawinenkegel oder in Erbebengebieten wie dem Andreasgraben zu bauen.    

Auch im 21. Jahrhundert ist die Vernunft noch nicht in alle Winkel der Erde gedrungen.   

  • Auch heute können sich wissenschaftliche Erkenntnisse nicht immer gegen dumpfe Vorurteile durchsetzen: Seit 20 Jahren gibt es gefestigte wissenschaftliche Daten, wonach der Klimawandel stattfindet und dass er durch Menschen gemacht ist. Und dennoch höre ich selbst im Bundeshaus immer wieder, das sei bloss eine unbewiesene These. 
  • Den Klimaskeptikern reicht ein kühler Mai als finaler Beweis, dass der Klimawandel ein Schwindel sei. 
  • Ein einziger - (nota bene) selbst entdeckter Rechnungsfehler – über einen Gletscher in Asien im zweitausendseitigen IPPC-Bericht, reicht um den ganzen IPPC-Rat als Klimabetrüger zu desavouieren. 

Grenzen der Vernunft 

Doch mag ich auch nicht nur das hohe Lied der Vernunft zu singen, denn das kann zu Hybris führen.

Es ist ja nicht so, dass in den Laboratorien und Universitäten rund um den Erdball von morgens bis abends die reine Wahrheit entdeckt und unumstössliche Erkenntnisse entwickelt würden.

Und es ist auch nicht so, dass an den Universitäten nur helle Köpfe am Werk sind und in den Niederungen des Alltags nur dumpfe Bäuche.

Wir sind alle Menschen und unsere Arbeit, wo immer wir sie verrichten, ist vom Verstand und vom Gefühl geleitet.

Die wissenschaftlichen Arbeiten, welche ein baldiges totales Waldsterben voraussagten, waren ein Beispiel dafür. Da wurde auch von akademischer Seite eine Panik erzeugt, die Kindern schlaflose Nächte bereitete und erwachsenen Spaziergängern Angst und Tränen entlockte. Damals wurden wissenschaftliche Schlussfolgerungen politischem Tatendrang geopfert.

Das war zwar nicht nur schlecht: Als Folge davon haben wir eine Luftreinhalteverordnung, die vieles ermöglichte. Aber, die Waldsterbensdebatte dient heute noch als Argument gegen die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Klimapolitik.

Auch in der Wissenschaft gibt es Irrtümer.

Auch der Laie darf und muss deshalb dem Jargon der Wissenschaftlichkeit gegenüber kritisch und wach bleiben. Der wissenschaftliche Rationalismus darf nicht zu einem wissenschaftlichen Absolutismus werden.

Die stete Entwicklung der Wissenschaft ist ja gerade der Beweis, dass auch ihre Erkenntnisse nie für die Ewigkeit gewonnen, sondern stets von neuem Wissen abgelöst werden.

Was heute stimmt, kann morgen falsch sein.

Wir haben uns im Verlauf der Menschheitsgeschichte stets vom Baum der Erkenntnis bedienen wollen, doch ganz gelungen ist uns das nie, vielleicht zum Glück.

Wettermacher sind wir nie geworden. Würden wir es dereinst können, dürfte der Streit, wer wann welches Wetter haben darf, auf das erbittertste ausbrechen. Und schon wären wir wieder aus dem Paradies vertrieben. 

Meine Damen und Herren,

wie glücklich sind wir doch alle, die wir hier im Schutze des Schaulagers über Vernunft, Versuchung und Paradies sinnieren dürfen. Die Menschen in Pakistan machen die Hölle durch. Die Anwohner um den russischen Torf die Vorhölle. Die meteorologische Weltorganisation sieht einen Zusammenhang mit diesem Elend und der Klimaänderung. Diese Erkenntnis zwingt uns alle zu Klimaschutz. Und auch mit diesem Wort sollten wir uns nicht selber betrügen:  

Nicht wir schützen das Klima, sondern das Klima schützt uns Menschen. 

Die Atmosphäre ist das Treibhaus des Lebens:  

  • Wind und Wetter formten Landschaften und Lebensräume.
  • Sie beeinflussten wesentlich die Evolution.
  • Diese Urgewalten der Atmosphäre halten alle Lebenskreisläufe überhaupt erst in Gang.

Ohne Atmosphäre wäre die Erde irgendein kalter und lebloser Trabant im Universum.  

Deswegen gebietet sich uns der Imperativ, politisch zu handeln.  

Dazu braucht es Aufklärung und es braucht Kommunikation. Wir müssen den Weisen ihre Weisheit entreissen. Hier in dieser Ausstellung können wir das.  

Ausstellung als Kommunikation  

  • Menschen interessieren sich durchaus länger als 20 Minuten für ein Thema. In Deutschland strömten die Besucher fast ein Jahr lang in diese Ausstellung.
  • Die Einschaltquoten waren überwältigend: Weit über 100‘000 Besucher wurden gezählt.
  • Bereits wenige Monate später kommt es nun in der Schweiz zur Zweit-Auflage. (Wenn wir überall nur so viel später wären als andere, würde uns das Leben nicht bestrafen.)
Diese Ausstellung besuchen zu dürfen ist ein Privileg. Ein Privileg verpflichtet. Geben Sie ihre Erkenntnisse, die Sie hier gewinnen, weiter. Dann gelingt uns vielleicht doch noch eine Koalition der Vernunft für eine verantwortungsvolle Klimapolitik.  

 


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Letzte Änderung 30.01.2024

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