105. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz

Genf, 30.05.2016 - Rede von Bundespräsident Johann N. Schneider-Ammann, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF Genf, 30. Mai 2016

Madame la Présidente,

Monsieur le Directeur général,

Excellences,

Mesdames et Messieurs,

Le gouvernement et le peuple suisses sont heureux d’accueillir à Genève la cent-cinquième session de la Conférence internationale du Travail.

Je tiens à saluer particulièrement Madame Oliphant, Présidente de la Conférence, que je félicite de son élection ; M. Guy Ryder, Directeur général, auquel je renouvelle mes vœux de plein succès dans ses importantes fonctions.

Permettez-moi aussi de profiter de l’honneur de cette tribune, pour démontrer l’attachement et le soutien de la Suisse en faveur de l’action de l’OIT.

Aufgrund ihrer tripartiten Struktur und ihres Mandats hat die IAO Pionierarbeit geleistet. Seit 1919 hat sie die Sozialpartnerschaft auf nationaler und internationaler Ebene institutionalisiert. Sie trägt seit 1919 zu internationalen Rahmenbedingungen bei, die gerechte wirtschaftliche und soziale Beziehungen etablieren.

Die Schweiz ist Mitglied der IAO seit deren Gründung. Die IAO und die Schweiz teilen zahlreiche gemeinsame Werte. Die Schweiz ist stolz, dass sie einen Beitrag dazu leisten konnte, dass der Mensch nicht mehr nur als Produktionsfaktor betrachtet wird. Durch die menschenwürdige Arbeit hat die IAO den Menschen als zentralen Pfeiler der wirtschaftlichen Aktivität definiert.

Ich bin überzeugt, dass diese Werte eine Zukunft haben. Der multilaterale Kontext und die Rahmenbedingungen unserer Volkswirtschaften ändern ständig. Die neuen Technologien, Motoren der Wirtschaft, verringern Zeit und Raum. Sie revolutionieren den Austausch. Sie stellen aber auch gewisse soziale Errungenschaften in Frage. Sie zwingen Regierungen, öffentliche Behörden und internationale Organisationen, ihre Rollen zu überdenken und die Zukunft zu antizipieren.

Wir laufen ins Verderben, wenn wir den Stillstand und die Angst vor Veränderungen vorziehen, wenn wir es ablehnen, uns auf die zukünftige Arbeitswelt vorzubereiten, und wenn wir uns weigern, aktiv zu einem beschäftigungsfördernden Wirtschaftswachstum beizutragen.

Die IAO hat eine Reflexion über die Zukunft der Arbeit eingeleitet, um ihre hundertjähriges Jubiläum 2019 zu begehen. Ich begrüsse diese vom Generaldirektor lancierte Initiative. Als Gaststaat will sich die Schweiz voll in die Festlichkeiten des hundertjährigen Jubiläums der IAO einbringen. Die Schweiz hat daher im Rahmen ihrer tripartiten Kommission für IAO Angelegenheiten bereits einen Dialog mit den Schweizerischen Sozialpartnern initiiert. Ich zähle auch darauf, diesen Einsatz anlässlich der von der IAO anfangs 2017 lancierten Weltkommission zu unterstreichen.

Als ehemaliger Unternehmer, vor allem aber als Wirtschafts- und Arbeitsminister, möchte ich hier eine Botschaft der Hoffnung und der Zuversicht überbringen, auch wenn die Zukunft der Arbeit zu einem grossen Teil unbekannt bleibt. Die Transformation der Arbeitswelt beschleunigt sich. Die neuen Beschäftigungsformen entsprechen nicht alle dem klassischen Modell „Arbeitgeber – Arbeitnehmer".

Diese Dynamik ist jedoch nicht neu. Sie begann mit der Revolution der neuen Technologien und der Liberalisierung des wirtschaftlichen Austauschs. Es bleibt festzustellen, dass die Technologien und die Liberalisierung bis heute weder die Beschäftigung, noch die Arbeit als solche verdrängt haben. Im Gegenteil, sie haben neue Formen der Beschäftigung und Arbeit kreiert. Wir müssen unsere Kräfte bündeln, um diese grossartige Gelegenheit zu nutzen, damit zukünftige Generationen die Früchte unserer heutigen Kühnheit ernten können.

Es gibt keine Wirtschaftsmodelle, die sich exportieren lassen und keine Lösungen, die für jede und jeden anwendbar sind. Erlauben Sie mir dennoch, Ihnen einige persönliche Erwägungen mitzuteilen, die ich aus meiner Erfahrung mit dem Wirtschaftsmodell meines Landes, der Schweiz, ziehe. Die Volkswirtschaft der Schweiz ist weitgehend diversifiziert, und sie produziert Güter von hoher Qualität und hoher Wertschöpfung. Kleine und mittlere Unternehmen machen mehr als 99% unseres Wirtschaftsgefüges aus.

Unser wirtschaftliches Modell basiert auf zahlreichen grundlegenden Werten, die wir mit der IAO teilen: der Frieden, die Demokratie, die Menschenrechte. Da die IAO die Akteure der Wirtschaft vereint – die Arbeitgeberschaft und die Gewerkschaften – kommen noch andere Werte in Betracht : die Wirtschaftsfreiheit, die soziale Gerechtigkeit, die politische und wirtschaftliche Stabilität, nachhaltige Unternehmen, welche menschenwürdige Arbeitsplätze schaffen, und vor allem, als Zement, der dieses Gebäude zusammenhält, eine solide Sozialpartnerschaft.Erlauben Sie mir, auf dieser Basis einige Grundlagen hervorzuheben, die für die Zukunft unserer Volkswirtschaften und den zukünftigen Arbeitsmarkt eine Berücksichtigung wert sind. Die makroökonomische Stabilität

In der Schweiz haben wir uns für eine makroökonomische Politik entschieden, die auf Stabilität ausgerichtet ist. So erlaubt uns die monetäre und Fiskale Politik, Massnahmen zu treffen, die das Wachstum und den Beschäftigungsgrad begünstigen. Die institutionelle Stabilität

Die Stabilität widerspiegelt sich auch in unseren politischen Institutionen. Ein hochwertiges institutionelles System stellt den Garant für ein langfristiges, florierendes Wirtschaftswachstum dar. Das föderalistische System der Schweiz überlässt seinen konstitutiven Einheiten, den Kantonen und den Gemeinden, eine weitreichende Souveränität. Dieser « bottom up » Ansatz fördert die politische Stabilität, und trägt zur Suche eines demokratischen Konsens‘ bei. Die direkte Demokratie verlangt folglich einen intensiven sozialen Dialog.Der soziale Dialog

In der Schweiz deckt der soziale Dialog mehrere Aspekte ab. Erstens sind das die vom Staat geführten Vernehmlassungen zu Gesetzgebungsvorhaben, die bei interessierten Kreisen vor der Diskussion im Parlament geführt werden. Als interessierte Kreise gelten insbesondere die Kantone, die Wirtschaftsverbände, die Sozialpartner, die politischen Parteien und die Zivilgesellschaft. Zweitens erlaubt es der Dialog mit den Akteuren der Wirtschaft, eine kohärente Sozial- und Wirtschaftspolitik im Interesse der Allgemeinheit zu implementieren.Die Wirtschaftsfreiheit

Unsere Bundesverfassung setzt die Wirtschaftsfreiheit als Grundprinzip fest. Dadurch bleibt den wirtschaftlichen Akteuren und Sozialpartnern eine weitreichende Verantwortung in der Wahl der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die Bürgerinnen und Bürger werden somit ermutigt, das Beste aus ihren Talenten zu machen und fühlen sich unterstützt und motiviert, am Wirtschaftsleben teilzunehmen.Bildung und Innovation

Wir verfügen über ein Netz von Universitäten sehr hoher Qualität. Wir haben ein strukturiertes Bildungssystem aufgebaut und wir investieren in die internationale Forschung und Innovation. Jugendliche und Erwachsene können, je nach ihren Fähigkeiten, eine Berufsbildung oder den akademischen Weg einschlagen. Das Bildungssystem zeichnet sich durch eine hohe Durchlässigkeit an sich und zwischen akademischer und Berufsbildung aus. Dies ermöglicht den Firmen, entlang der gesamten Wertschöpfungskette hochqualifizierte Arbeitskräfte einzustellen.

Die Beschäftigung Jugendlicher ist die Zukunft der Arbeit. Darum bin ich überzeugt, dass wir in die Grundausbildung und Berufsbildung investieren müssen. Dennoch ist die Bildung nicht das Ziel an sich. Sie muss den Zugang zu einer qualifizierten und produktiven nachhaltigen Beschäftigung ermöglichen.

In der Schweiz erfolgt die hochwertige Berufsbildung sowohl in der Berufsschule, als auch innerhalb des Unternehmens. Dies nennen wir die duale Berufsbildung. Sie trägt in hohem Masse zur Integration der Jugendlichen im Arbeitsmarkt und einer niedrigen Arbeitslosigkeit bei.

Eine rasche Arbeitsintegration der Jugendlichen ohne den aktiven Beitrag der Unternehmen ist unmöglich. Ich bin sicher, dass es sich dabei um eine gewinnbringende Investition handelt, nicht nur für die Gesellschaft und die Jugendlichen, sondern auch für die Lehrbetriebe.Der soziale Schutz

Das System des sozialen Schutzes muss die rasche Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt begünstigen. Die Schweiz hat schrittweise ein Netz der sozialen Sicherheit entwickelt, dass niemanden ausgrenzt. Unser System der Arbeitslosenversicherung ist ein zentrales Element davon. Es bezweckt eine rasche und dauerhafte Wiedereingliederung von Stellensuchenden im Arbeitsmarkt.Die Sozialpartnerschaft

Wie ich gerade erwähnt habe, ist die Sozialpartnerschaft der Zement, der dieses komplexe Gebäude zusammenhält. In der Schweiz bedeutet Sozialpartnerschaft das kollektive Verhandeln von Arbeitsbeziehungen. Die Sozialpartnerschaft regelt im Allgemeinen die Verhandlung von Gesamtarbeitsverträgen und beinhaltet auch die jährlich verhandelten Lohnobergrenzen.

Die Sozialpartnerschaft regelt auch das Mitspracherecht der Arbeitnehmer, insbesondere durch die gewählten Vertreter in den Personalkommissionen. Die aktive und verantwortungsvolle Rolle der Sozialpartner ermöglicht, dass der Staat den Arbeitsmarkt nur beschränkt reglementiert.

In der Schweiz sind mehr als 600 Gesamtarbeitsverträge in Kraft. Sie regeln die Arbeitsbedingungen von gegen zwei Millionen Angestellten. Gegen 49 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben Arbeits- und Lohnverhältnisse, die durch ein Abkommen zwischen den Sozialpartnern geregelt sind.

Eine gewisse Anzahl der Gesamtarbeitsverträge enthält Klauseln zum Arbeitsfrieden. Während diese Verträge in Kraft sind, verpflichten sich die Vertragsparteien, Konflikte ohne Streiks zu lösen. Im internationalen Vergleich verliert die Schweiz relativ wenige Arbeitstage aufgrund von Streiks. Gemäss den verfügbaren Schätzungen, hat die Schweiz zwischen 2005 und 2014 durchschnittlich einen Arbeitstag pro 1‘000 Angestellte verloren.

Auch leistungsfähige Institutionen, eine hochstehende Schul- und Berufsbildung, eine partizipative Demokratie und die Sozialpartnerschaft werden Krisen der Marktwirtschaft nie verhindern können. Die Qualität und das reibungslose Funktionieren der vorherrschenden Institutionen erhöhen aber die Chancen, aus einer Krise zu finden, wieder an den langfristigen Fortschritt anzuknüpfen und die Widerstandsfähigkeit, vor allem jene des Arbeitsmarkts, zu vergrössern.

Die internationale Arbeitskonferenz ist das Weltparlament der Arbeit. Sie ist das einzigartige tripartite Forum, das uns die Diskussion ermöglicht, die Konturen der Regeln festzulegen, um:

  1. Den Weg für die digitale Wirtschaft zu ebnen
    Die digitale Wirtschaft ist die Wirtschaft der Zukunft. Sie stellt die aktuellen Formen der Geschäftsführung und die Sicherung digitaler Prozesse in Frage. Sie wird auch neue Arten der Arbeitsbeziehungen verlangen.
  2. Die Basis für eine neue Industrie zu legen
    Es gibt keine gesunde Wirtschaft ohne Industrie. Das Gesicht der Industrie ändert sich rasch. Die industriellen Produktionsabläufe sind bereits im völligen Wandel begriffen: das Verfahren der 3D Produktion funktioniert bereits. Die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Markt bleibt entscheidend, aber sie wird die Beherrschung der Energiekosten und der grünen Technologien miteinschliessen.
  3. Die Sozialpartnerschaft zur Förderung der menschenwürdigen Arbeit neu zu erfinden
    Die Reform der Arbeitsmärkte ist unumgänglich. Wir müssen uns darauf vorbereiten, da die digitale Gesellschaft von Morgen ohne hochwertige digitale Infrastruktur und Innovationskraft nicht möglich sein wird. Das bedeutet immer mehr qualifizierte Angestellte, neue Ausbildungsprogramme, neue Arten der Beschäftigung. Dies wird den Handlungsspielraum der IAO direkt beeinflussen: bringen wir weiter internationale Normen zur « Arbeit » hervor, oder Normen des « sozialen Schutzes »?

Im Angesicht dieser neuen Herausforderungen glaube ich, dass die IAO in naher Zukunft auch ihren globalen Beschäftigungspakt aktualisieren muss, welcher an Ihrer Konferenz im Jahre 2009 angenommen wurde. Andere internationale Institutionen befassen sich bereits mit den strategischen Herausforderungen bezüglich der zukünftigen Beschäftigung. Die IAO kann sich den Luxus nicht leisten, sich hier überholen zu lassen.

Ich lade Sie dazu ein, den nötigen Mut und die Innovation zu beweisen, damit die IAO in Zukunft über ein kohärenteres und solideres Normenwerk verfügt. Ich plädiere auch dafür, dass das System der Normenkontrolle den zukünftigen Realitäten angepasst wird, damit die IAO ihr Mandat für soziale Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert vollumfänglich wahrnehmen kann.

Die soziale Gerechtigkeit steht auf der Tagesordnung Ihrer Konferenz. Die Erklärung von 2008 über soziale Gerechtigkeit bezweckt die Förderung der Ziele und Vorgaben der IAO unter den Mitgliedstaaten, anhand der integrierten Umsetzung der vier strategischen Ziele: die Beschäftigung, der soziale Schutz, der soziale Dialog und die grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit. Die menschenwürdige Arbeit ist integraler Bestandteil der globalen Wertschöpfungsketten, sowohl in der Produktion, als auch im Handel und den Investitionen. Profitieren wir anlässlich dieser Konferenz davon, beschwichtigt und konstruktiv über diese Themen zu diskutieren.

Ich bin ein Mann der Praxis. Es gibt Worte und es gibt Taten. Ich habe mit dem Generaldirektor soeben eine Vereinbarung unterzeichnet, die es meinem Land ermöglichen wird, sein Engagement mit der IAO fortzusetzen und zu verstärken. Durch diese erneuerte Vereinbarung wird die Schweiz Entwicklungshilfeprojekte der IAO finanzieren, die einen positiven Einfluss auf die Beschäftigung, die Arbeitsbedingungen, und die Migration in zahlreichen Ländern haben wird. Der Generaldirektor hat vor kurzem seinen Bericht vorgestellt, der dieses Jahr dem Kampf gegen die Armut gewidmet ist und den ich begrüsse.

Durch Ihren Einsatz an der IAO will die Schweiz der internationalen Solidarität dienen und einen Beitrag zur Bekämpfung der Armut und der Verwirklichung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung leisten.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Es gilt das gesprochene Wort!


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Letzte Änderung 30.01.2024

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