„Die Relevanz der Schweizer Exportwirtschaft“
Bern, 26.03.2019 - Ansprache von Bundesrat Guy Parmelin, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) anlässlich des Aussenwirtschaftsforums 2019, Zürich, Dienstag 26. März 2019
Es gilt das gesprochene Wort!
Frau Präsidentin
Herr Generaldirektor
Sehr geehrte Damen und Herren
Es ist mir eine Freude, heute mit Ihnen über die Schweizer Exportwirtschaft und unsere Handelspolitik zu sprechen. Wie Ihnen allen bewusst ist, ist internationaler Handel für die Schweiz nicht nur eine Frage von zentraler Bedeutung, sondern letztlich auch eine Existenzfrage.
Heute ist die Schweiz eines der reichsten Länder der Welt, vor allem dank der frühen und umfassenden Integration in den Welthandel sowie der internationalen Spezialisierung. Der Handel von Gütern und Dienstleistungen macht in der Schweiz über 90 Prozent des BIP aus, was im internationalen Vergleich sehr hoch ist. Dieser Anteil hat in den letzten 20 Jahren um zwei Drittel zugenommen und generiert heute einen Viertel des Wirtschaftswachstums in unserem Land. Der Handel trägt also viel zum Wohlstand in der Schweiz bei. Er ist Grundlage für unser Wachstum, für unsere wirtschaftliche Entwicklung und letztlich auch Grundlage für Bildung, Forschung, Infrastruktur und Sozialwesen.
Um international weiterhin erfolgreich zu sein, sind unsere Unternehmen auf einen planbaren, sicheren und möglichst diskriminierungsfreien Zugang zu ausländischen Märkten angewiesen. Diese Tatsache steht im Zentrum der Schweizerischen Aussenwirtschaftspolitik. Der Bundesrat ist bestrebt, die Rahmenbedingungen für unsere Exportwirtschaft ständig zu verbessern und auch in unsicheren Zeiten hindernis-freien Zugang zu ausländischen Märkten zu ermöglichen. In jüngerer Vergangen-heit sind jedoch die Herausforderungen, neue Märkte zu erschliessen und protektionistische Massnahmen im Zaum zu halten, gestiegen. Als exportabhängiges Land haben wir aber keine Wahl, wir müssen uns auch künftig für offene Märkte und präferentielle Handelsbeziehungen einsetzen. Das tun wir auch weiterhin gemäss der Schweizer Aussenwirtschaftspolitik. Die Strategie des Bundesrates zur Sicherung und Verbesserung des Marktzugangs beruht auf drei Pfeilern: Den Beziehungen zur EU, der WTO und den Freihandelsabkommen.
Die EU, mit der wir über ein dichtes Netz von bilateralen Verträgen eng verbunden sind, ist und bleibt mit 52 Prozent der Güterexporte und rund 70 Prozent der Importe der mit Abstand wichtigste Handelspartner der Schweiz. Der Bundesrat ist daher bestrebt, die wirtschaftlichen Beziehungen mit der EU weiterhin auf ein solides Fundament zu stellen.
Die Grundlage sämtlicher Schweizer Handelsbeziehungen und derjenigen von 164 weiteren Ländern ist aber die Welthandelsorganisation, die WTO. Aufgrund der zunehmenden Polarität der mittlerweile nahezu universellen Mitgliedschaft und dem Prinzip der Einstimmigkeit erweist sich die Weiterentwicklung und Anpassung des WTO-Regelwerks an die aktuellen handelspolitischen Herausforderungen jedoch als schwierig. Für ein kleines, exportabhängiges Land wie die Schweiz ist das Funktionieren eines regelbasierten WTO-Systems von grundlegender Bedeutung. Bei Handelskonflikten können die Regeln durch den WTO-Streitbeile-gungsmechanismus durchgesetzt werden. Damit unterstreichen wir die Rechtsstaatlichkeit des multilateralen Handelssystems. Diese Errungenschaft ist momentan gefährdet, weil die USA die Neubesetzung des zweitinstanzlichen Berufungsorgans des WTO-Streitbeilegungssystems verhindern. Wenn diese Blockade bis zum Herbst andauert, wird das Berufungsorgan nicht mehr funktionsfähig sein und es droht das «Recht des Stärkeren». Die Schweizer Handelsdiplomatie ist zusammen mit gleichgesinnten Ländern intensiv bemüht, die Rolle und Bedeutung der WTO und damit des multilateralen Handelssystems zu erhalten und zu stärken.
Bilaterale und regionale Freihandelsabkommen haben angesichts der stockenden Fortschritte bei der Handelsliberalisierung im Rahmen der WTO zunehmend an Bedeutung gewonnen. So sind momentan viele Länder und Wirtschaftsblöcke bestrebt, solche Abkommen abzuschliessen. Insbesondere die EU hat in letzter Zeit gezeigt, dass sie hier in der Lage ist, einen wichtigen Gegenpol zur multilateralen Blockade und den protektionistischen Tendenzen zu setzen. Aber auch andere Länder treiben die regionale Handelsliberalisierung voran. Die verbleibenden 11 Mitglieder der transpazifischen Partnerschaft haben es beispielsweise geschafft, auch ohne die USA eine ambitionierte Einigung zu finden.
Auch wenn für die Schweiz die WTO klar die favorisierte Option bleibt, verfolgen auch wir den bilateralen Ansatz seit längerem und das sehr erfolgreich. Es wird auch weiterhin wichtig sein, neue Freihandelsabkommen abzuschliessen und ältere aufzudatieren, damit Diskriminierungen vermieden werden können.
Wir setzen uns in Freihandelsverhandlungen prioritär dafür ein, einen möglichst hindernisfreien Marktzugang für Schweizer Industriegüter und ausgewählte landwirtschaftliche Produkte zu erreichen. Andere wichtige Schweizer Interessen betreffen die Verankerung von Dienstleistungen, insbesondere auch Finanzdienstleistungen, den Zugang zum öffentlichen Beschaffungswesen, den Schutz des geistigen Eigentums und eine bessere Kohärenz zwischen Handel und nachhaltiger Entwicklung. Ein Freihandelsabkommen bietet darüber hinaus vor allem auch Rechtssicherheit und erhöht somit die Planbarkeit für die wirtschaftlichen Akteure. Jedes Abkommen schafft zudem einen Gemischten Ausschuss, der über das Funktionieren des Abkommens «wacht» und sich regelmässig trifft. Dort können allfällig auftretende Probleme diskutiert werden, welche sich im Zusammenhang mit dem Freihandelsabkommen stellen.
Die Schweiz hat mittlerweile eines der umfangreichsten Netze von Freihandelsabkommen. Momentan sind 30 Freihandelsabkommen mit 40 Partnern ausserhalb der EU und der EFTA in Kraft. Zusammen mit den Abkommen mit der EU und den EFTA-Staaten findet somit nahezu 80 Prozent unseres Aussenhandels unter präferentiellen Bedingungen statt. Und wir sind bestrebt, weitere Abkommen mit attraktiven Märkten abzuschliessen, um diesen Prozentsatz auszubauen und unseren Wirtschaftsakteuren weiterhin bestmögliche Rahmenbedingungen zu bieten. Momentan stehen wir in Verhandlungen mit Indien, Malaysia, Vietnam und den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Die Verhandlungen mit Indonesien und Ecuador konnten vor Kurzem abgeschlossen werden.
Wir bemühen uns aber auch darum, verschiedene bestehende Freihandelsabkommen weiterzuentwickeln und zu modernisieren. Zurzeit sind solche Nachverhandlungen mit SACU (Südafrikanische Zollunion) in Gang. Mit Chile werden wir solche Modernisierungs-Verhandlungen dieses Jahr aufnehmen und mit Kanada laufen derzeit exploratorische Gespräche. Auch mit Mexiko wurden Modernisierungsverhandlungen lanciert, diese sind jedoch bereits seit längerem blockiert, weil wir unterschiedliche Vorstellungen in Bezug auf den Liberalisierungsgrad bei den Landwirtschaftsprodukten haben. Auch mit China sind wir seit längerem bemüht, das Abkommen von 2014 aufzudatieren.
Als erste Nachverhandlungen konnten diejenigen mit der Türkei letztes Jahr abgeschlossen werden. Solche Modernisierungen werden insbesondere dann notwendig, wenn wir gegenüber der EU schlechter gestellt sind: entweder, weil die EU nach uns ein besseres Ergebnis verhandelt hat, oder weil auch sie ein bestehendes Abkommen nachverhandelt.
Die EU verfolgt – wie bereits erwähnt – ebenfalls eine sehr aktive Freihandelspolitik. Wir müssen daher aufpassen, nicht ins Hintertreffen zu geraten. Es gilt Diskriminierung gegenüber Konkurrenten vorzubeugen. Stillstand bedeutet hier Rückschritt.
Konkret geworden ist dieses Diskriminierungspotential kürzlich mit dem Inkrafttreten des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Japan. Unser Abkommen mit Japan ist zehn Jahre alt und auch wenn es ein sehr gutes Abkommen ist, enthält es teilweise weniger weitgehende Liberalisierungen als das neuere EU Abkommen. Die Schweiz ist daher bereits seit längerer Zeit in Kontakt mit Japan, um Nachverhandlungen zu initiieren. Die Schlechterstellungen gegenüber der EU, welche vor allem in Agrarbereich liegen, wollen wir beseitigen. Bislang zeigt sich Japan aber leider wenig interessiert, einen solchen Prozess zu lancieren. Ich werde diesen Sommer nach Japan reisen und mich persönlich dafür einsetzen, dass Nachverhandlungen aufgenommen werden können.
Ich möchte nun kurz auf zwei potenzielle Freihandelspartner etwas näher eingehen, Mercosur und die USA. Mit dem einen verhandeln wir bereits, mit dem anderen laufen derzeit Vorarbeiten.
Die Mercosur-Staaten sind mit 260 Millionen Einwohnern schon jetzt ein wichtiger Zielmarkt für die Schweizer Exportwirtschaft und weisen ein grosses Wachstumspotential auf. Bereits heute exportiert die Schweiz Güter im Wert von mehr als 3 Milliarden Franken pro Jahr in diese Länder. Ein Freihandelsabkommen würde den grossen, aber stark geschützten Mercosur-Markt für Schweizer Exporteure öffnen. Die durchschnittlichen Zölle auf Schweizer Exporte betragen 7 Prozent, Spitzenzölle aber bis zu 35 Prozent. Das bedeutet, dass durch ein Freihandelsabkommen nicht nur hohe Zollabgaben gespart werden könnten, sondern auch, dass neue Handelsströme entstehen könnten, welche heute aufgrund der hohen Zölle komplett verhindert werden. Gemäss economiesuisse haben die Mercosur-Staaten eines der höchsten ungenutzten Aussenhandelspotenziale. Ein FHA würde dazu beitragen, dieses Potenzial besser auszuschöpfen.
Bislang fanden sieben Verhandlungsrunden statt. Die Gespräche sind äusserst konstruktiv und die Fortschritte sind insgesamt sehr erfreulich. Grösste Knackpunkte in den Verhandlungen sind der Marktzugang für Industrie- und Agrargüter sowie Fragen im Bereich des geistigen Eigentums. Für Mercosur ist der Marktzugang im Agrarbereich zentral. Sie sind sich zwar bewusst, dass mit der EFTA kein schrankenloser Agrarfreihandel möglich ist. Es wurde aber klar kommuniziert, dass bisherige Schweizer Agrarkonzessionen in Freihandelsabkommen in diesem Fall ungenügend sind. Das Ambitionsniveau in Agrarfragen wird das generelle Ambitionsniveau des Abkommens festlegen. Unsere Bereitschaft, in diesem Bereich auf die Interessen der Mercosur-Länder einzugehen, wird mitentscheidend sein, inwieweit wir unsere offensiven Interessen in anderen Bereichen, welche für uns wichtig sind, durchsetzen können. Dies insbesondere beim Marktzugang im Warenbereich und beim geistigen Eigentum. Hier stehen zähe Verhandlungen an. Die nächsten Monate werden entscheidend sein für diesen Prozess, wir sind aber zuversichtlich, dass wir ihn bald erfolgreich abschliessen können.
Noch keine Verhandlungen, sondern exploratorische Gespräche laufen zurzeit mit den USA. Deren wirtschaftliche Bedeutung und das Wachstumspotenzial dürfen nicht unterschätzt werden. Unsere Exporte in die USA sind in den letzten sieben Jahren um beinahe 60 Prozent gewachsen. Das ist deutlich mehr als das Wachstum der Exporte in die ganze Welt (+15%) und auch mehr als das Wachstum der Exporte in die EU (7%) und nach China (+50%) im selben Zeitraum. Mittlerweile ist das Land hinter Deutschland die zweitwichtigste Destination für Schweizer Güterexporte. Wichtiger gar als Frankreich und Italien zusammen.
Es liegt daher auf der Hand, die bereits sehr intensiven Handelsbeziehungen durch ein Freihandelsabkommen zu vertiefen und somit unserer Exportindustrie weitere Diversifizierungsmöglichkeiten zu bieten. Schon 2006 haben wir einen Versuch unternommen, der dann allerdings nicht erfolgreich war. Die neue US-Administration hat nun aber signalisiert, dass sie an einem Abkommen mit der Schweiz interessiert wäre. Auch die Schweizer Politik und Wirtschaft zeigt sich diesbezüglich grundsätzlich positiv. Wir haben daher letztes Jahr einen exploratorischen Prozess begonnen, um die gegenseitigen Erwartungen und Möglichkeiten besser auszuloten. Der Prozess steht zurzeit aber noch am Anfang und es ist derzeit zu früh, um eine Prognose abzugeben, ob formelle Verhandlungen lanciert werden können.
Dies war nun ein kurzer Überblick über gewisse Aspekte der Schweizer Handelspolitik. Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich einige wichtige Punkte festhalten. Die Schweiz ist ein erfolgreicher Global Player und gewinnt durch Öffnung. Ob man als Kriterium Lebensqualität, Gesundheit oder Freiheit wählt - die Schweiz nimmt immer einen beneidenswerten Platz ein. Dieser Wohlstand ist nicht zufällig. Ohne offene Märkte kann die Schweiz mit einem beschränkten Binnenmarkt nicht wachsen und somit auch keinen Wohlstand generieren.
Der Bundesrat verfolgt daher eine klare Strategie, um ausländische Märkte zu öffnen und der heimischen Exportwirtschaft so möglichst gute Rahmenbedingungen zu bieten. Ich bin zuversichtlich, dass die Schweizer Wirtschaft und speziell die Exportwirtschaft – auch dank diesen Rahmenbedingungen – weiterhin im internationalen Wettbewerb bestehen kann, damit allen Bewohnerinnen und Bewohnern ein hohes Wohlstandsniveau garantiert werden kann.
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Letzte Änderung 30.01.2024